Thema

Wie wird Mutterschaft heute wissenschaftlich diskursiviert?
Welche Fragen drängen sich auf?

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird Mutterschaft vielfach als „ambivalent“, „widersprüchlich“ und „vielschichtig“ beschrieben. Mutterschaft verstehe sich nicht mehr von alleine, heißt es. Es werden Einschränkungen, Veränderungen und Herausforderungen für Frauen problematisiert, die sich aus ihrer Mutterrolle aufgrund gesellschaftlicher Normen und Machtverhältnisse, neoliberaler Imperative und einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse ergeben. Zurecht ist hier von einer Doppelbelastung der Frauen die Rede. Denn: in der heteronormativen gesellschaftlichen Diskussion besteht das Leitbild der „guten Mutter“, die in ihrer Vollverfügbarkeit für ihre Kinder aufgeht, bis heute fort. Gleichzeitig will und soll sie selbstbestimmt und finanziell
unabhängig sein.

 

Welche Leitbilder über Mutterschaft, welche Geschlechternormen bestehen fort? Wie sind sie festzumachen?

Exemplarisch sei hier eine 2011 erschienene qualitative Studie mit dem Titel Lebensentwürfe. Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen genannt. Die Autorin befragt junge Erwachsener zu ihren Zukunftsvorstellungen bezüglich Familiengründung und Mutter oder Vater zu sein. Die meisten Befragten verleihen Mutterschaft eine gewisse Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit, die sie nicht genauer spezifizieren können. Die Mutter ist, „wie Mütter halt sind.“ „Sie würde alles für ihr Kind tun.“ heißt es hier. Obwohl bei den Jugendlichen dieses Ideal der permanenten Verfügbarkeit genossen und nicht in Frage gestellt wird, und der Wunsch fortbesteht, das eigene Muttersein bzw. das der Partnerinnen ähnlich bedingungslos fürsorglich zu gestalten, wie die ihrer eigenen Mütter, besteht eine Kritik an der übertriebenen Selbstaufgabe und Sorge, genannt „Übermuttern“, oder „Glucken“ – Eigenschaften, die bemitleidet und als Problem für die Mutter selbst empfunden werden. Vor allem ein Großteil der befragten männlichen Jugendliche erwartet, dass ihre Partnerinnen weiter für Hausarbeit und Kinderbetreuung zuständig bleiben, aber sie würden sich auch kein „Heimchen am Herd“ wünschen – die Partnerin soll schon beruflich erfolgreich und finanziell unabhängig sein. Die schwierige Vereinbarkeit dessen im Alltag kommentieren sie als „Illusion“, oder als „Superfrauen“.

 

Wo bleiben emanzipatorische Modelle der Gleichberechtigung, wie ist die Aufteilung der Erwerbsarbeit (wer zahlt die Miete) und was hat das mit ökonomischen Zwängen zu tun/auf sich?

Die „gute Mutter“, die „Supermutter“, soll also zugleich „Vollzeitmutter“, und, „selbstbestimmt“, beruflich erfolgreich, finanziell autonom sein. Das traditionelle Bild von Männern als vorrangige Familienernährer und Frauen, die sich ausschließlich reproduktiven Hausarbeiten hingibt, hat weitgehend ihre Gültigkeit verloren – viele Paare können sich sowieso nicht mehr leisten, von einem Gehalt zu leben. Frauen sind heute autonomer, besser ausgebildet oder erobern immer mehr Führungspositionen. Das hat in Westdeutschland viel mit den Errungenschaften der Frauenbewegung zu tun. Viele Paare wünschen sich egalitäre Modelle, auch Väter distanzieren sich von klassischen Rollenmustern: Sie möchten engagierte Väter sein, das Ein-Ernährer-Modell stellt vielerorts kein Leitmodell mehr da und ist auch in der Praxis oft nicht mehr existent. Das verbreitetste Arrangement in westdeutschen Haushalten ist nach wie vor das „Zu-Verdiener“- bzw. „Eineinhalbverdiener- Modell“ – der Mann ist hier in den meisten Haushalten nach wie vor der „Haupternährer“. Nur bei einem Zehntel aller heterosexuellen Paare in Deutschland – bekanntlich ein konservativer Staat in Bezug auf Geschlechterverhältnisse – verdient die Frau das Haupteinkommen, Tendenz steigend. In den USA oder in England sind es beispielsweise deutlich mehr – nämlich 30 bis 40 Prozent. Aber vor allem die Zahl der Haushalte, die von zwei Einkommen leben, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Immer mehr Paare werden in Zukunft zweier gleichwertig am Arbeitsmarkt verankerter Individuen bedürfen. Eine emanzipatorische Errungenschaft für alle Beteiligten, die stark mit ökonomischen
Zwängen verbunden und in eine Verschärfung der Zumutungen an Mütter und Väter, umgekippt ist – hochgradig riskant sind in der derzeitigen neoliberalen Marktlogik alle Lebensentwürfe, die nicht erwerbszentriert sind, egal ob für Mütter oder Väter. Erwerbsunsicherheit, prekäre Beschäftigungssituationen, befristete Arbeitsverhältnisse, Minijobs und Phasen der Arbeitslosigkeit stellen für immer mehr Menschen das realistische Szenario. Und heute sind sowohl weibliche Arbeitskräfte davon betroffen also auch männliche, unausgebildete Arbeitskräfte wie Hochschulabsolventen.

Wie ist die Arbeitsteilung im Haushalt, wer macht Care-Work?

Die meisten Paare geben vor, sich unter diesen prekarisierten Erwerbsbedingungen auch Haus- und Sorgearbeit zu teilen. Fast 70 % der Westdeutschen und 88 % der Ostdeutschen Frauen stimmen laut Studien einer egalitären Rollenverteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen zu. „Macht er also die Hausarbeit, wenn sie die Miete zahlt?“ fragt eine Publikation mit dem Titel „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ und stellt eine Persistenz traditioneller Rollenmuster fest. Eine weitgehend veränderungsresistente geschlechtstypische Arbeits- und Rollenverteilung bestimmt laut dieser Untersuchung weiterhin die Wirklichkeit der meisten Familien in Deutschland. Männer beanspruchen zwar nicht mehr die Versorgerrolle, übernehmen deshalb noch lange nicht die „Sorgearbeit“. Laut einer Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird 80% aller Haus- und Pflegearbeit nach wie vor von Frauen verrichtet. Unbezahlt und oftmals von der Gesellschaft unbeachtet. Arrangement des Rollentausches funktioniert meistens nicht: fast alle Familienernäherinnen fahren die Doppelschicht aus Arbeit, Erziehung und Haushalt. Auf eine Frau in Deutschland kommen durchschnittlich 31 Wochenstunden Hausarbeit und Fürsorgearbeit, die sog. Carearbeit zu, heißt es statistisch. Alte Rollenbilder bleiben bestehen, weiblich konnotierte Mütterlichkeit bleibt im Verantwortungsbereich der Frauen. Ein wichtiger Unterschied ist bloß, dass Menschen diesen Sachverhalt nicht mehr unbedingt auf traditionelle Rollenmuster zurückführen, sondern als persönliche Vorliebe deuten oder ausblenden. Auch in einer projektinternen Supramater-Umfrage wird häufig gerechtfertigt, dass eben zufällig der Mann erwerbstätig sei oder mehr verdiene und man daher einen Großteil der Haus- und Sorgearbeit übernimmt. Was heißt hier zufällig?

 

Exkurs: Wie ist es bei uns, im akademischen Milieu der Kreativen und Selbstverwirklicher?

Laut einer Publikation durch Mitarbeiter des Frankfurter Institut für Sozialforschung bekommt ausgerechnet das urbane akademische Milieu der Kreativen und Selbstverwirklicher es am wenigstens hin, das Ideal partnerschaftlicher Gleichheit in die Praxis umzusetzen. Sie sind auch das größte Milieu, das „jenseits der Festanstellung“ lebt. Hier dominiert das Gebot der Flexibilität und das Arbeiten in Projekten. Männer wie Frauen scheinen und glaube sich dadurch aus traditionellen Rollenvorgaben gelöst zu haben – wenn der eine mehr Aufträge hat, kümmert sich der andere um die Kinder, so die erklärte Absicht. Hier werden zwar auch bei deutlichen Einkommensunterschieden die anfallenden Kosten 50/50 geteilt. Der Anspruch Hausund Sorgearbeit 50/50 zu teilen wird nicht eingelöst. Männer engagieren sich zwar als Väter, aber das Management des Alltags und der Großteil der Haus- und Sorgearbeit bleibt in den Händen der Frauen. Eine Übernahme von Sorge- oder Hausarbeit durch den prekär beschäftigten Mann, der tendenziell mehr Zeit hat, kommt nicht in Frage.

 

Was sagen die Medien zum Thema Mutterschaft?
Rabenmutter, Superfrau, Allround-Mom, Übermensch

Populistische mediale Debatten pendeln im letzten Jahrzehnt zwischen zwei zuvor angedeuteten, fundamentalistischen Leitbildern: eine mystifizierende Berufung der Frau zur Mutterschaft zum einen; die Verklärung der Karrierefrau, der Superfrau, die ihre Familie ebenso managt wie ihren Job, und dabei in allen Lebensbereichen eine optimale Performance bietet, zum anderen. So heißt es in der Illustrierten Neue Welt: „Sie sind eine Superfrau. Mutter von sechs Kindern, nebenbei helfen Sie in Pakistan und abends sind Sie für Brad Pitt eine Traumfrau. Wie machen Sie das?“ Und Angelina Jolie antwortet: „Um ehrlich zu sein, finde ich das völlig normal. So sind Frauen, zumindest sollten sie so sein, oder?“ Nicht nur der Beruf, sondern auch die mütterliche Fürsorge stehen im Zeichen der Selbstverwirklichung und werden zunehmend in der Öffentlichkeit zelebriert. Die Supermutter ist fürsorglich und verantwortungsbewusst, selbstständig und erfolgreich, schön und stark, sie macht Sport, ist Bio und hat Humor, und die Kinder sind auch toll. Und was einst als eine feministische Vision von Frauen und Müttern galt, die nur deshalb, weil sie Mütter sind, keinesfalls auf gesellschaftliche Teilhabe und Autonomie verzichten wollten, scheint sich heute nahtlos in Anforderungen des Neoliberalismus einzureihen. Emanzipatorische Perspektiven von „Mündigkeit“ und Selbstbestimmung werden durch einen ultraliberalen Diskurs der Eigenverantwortlichkeit von Personen in prekarisierten Arbeitsverhältnissen und abnehmender sozialstaatlicher Sicherheit pervertiert. Frauen unterlaufen zwar die Grenzziehung zwischen häuslicher und marktvermittelter Arbeit, in dem sie zwischen beiden Tätigkeitsfeldern pendeln – aber in einer gesellschaftlichen Organisationsstruktur, die nicht darauf eingerichtet ist, Familie und Beruf zu harmonisieren, leisten sie als Supermütter nach wie vor durch unbezahlte Hausarbeit die Voraussetzungen für Tätigkeiten außer Haus. Und dieser neue Muttermythos hilft kaum, unliebsame Realitäten auszublenden, etwa, dass in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse und sinkender Reallöhne die Einverdiener-Ehe kaum mehr zu finanzieren ist, oder aber ein bewusst gewählter (befristeter) Ausstieg aus dem Berufsleben auf dem konkurrierenden Arbeitsmarkt nicht toleriert wird.

Fragen an die Reproduktionsmedizin, an die Performer und das Publikum: Wo findet sich eine Perspektive, wo finden sich potentielle emanzipatorische Leitbilder und Praxen von Mutterschaft? Positive und emotionale Bezugnahme auf Mutterschaft?
Was wären utopische Figuren, Narrationen jenseits des traditionellen Mythos jenseits von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität?

Feray Halil

 

 

Quellen und weiterführende Literatur:

Bernard, Andreas (2014): Kinder machen. Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. Bonn: bpb.

Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Dreysse, Miriam (2015): Mutterschaft und Familie: Inszenierungen in Theater und Performance. Bielefeld: transcript.

Malich, Lisa (2013): Who’s your mommy now? Nationalmütter, Fuckermothers und die Geschichte des Muttermythos. In: Mecklenbrauck, Annika & Böckmann, Lukas (Hg.): The Mamas and the Papas. Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse. Mainz: Ventil Verlag.

Nüthen, Inga (2010): Mein Bauch gehört mir. Von der Selbstbestimmung über unseren Körper. In: gender politik online, http://www.fu-berlin.de/sites/gpo/pol_sys/politikfelder/Mein_Bauch_gehoert_mir/inga_nuethen_.pdf (Letzter Zugriff: 12.01.2017)

Schwiter, Karin (2011): Lebensentwürfe. Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen. Frankfurt/New York: Campus Verlag.

Thiessen, Barbara & Villa, Paula-Irene (2010): Entweder – oder? Mutterschaft zwischen Fundamentalismen und vielschichtigen Praxen. In: querelles-net, Jg. 11, Nr. 2. Online: https://www.querelles-net.de/index.php/qn/article/view/875/872 (Letzter Zugriff: 17.01.2017)

 


 

 

Blogs zum Thema Queerfeminismus und Elternschaft/Reproduktion

aufzehenspitzenfeministumdr. muttifuckermothersgemeinsamelterngeschlechterchaosglücklich scheiternkrähenmutterlaurie pennyumstandslosmädchenmannschaftfembiokrach bumm

 

Magazine

anschläge magazinoutside the boxFKWrad dad magazineMissy Magazine

 

Radiobeiträge und Vorträge

Ich würde alles anders machen – wenn Muttersein unglücklich macht
Kulturtermin, Kulturradio RBB

Hausarbeit und Geschlechterrollen in aktuellen akademisch-künstlerisch geprägten Milieus
von Sarah Speck

Von Frauen, die die Brötchen verdienen und Männern, die sie schmieren
von Kathi Grünhoff, BR2

 

Bücher und Artikel

You can be a mother and still be an successful artist
von Marina Cashdan

Doppelbealstung erscheint als Problem der Frau
von Sarah Speck

Care Revolution – Schritte in eine solidarische Gesellschaft
von Gabriele Winker

The second shift
von Arlie Hochschild

Die Uhr die nicht tickt
von Sarah Diehl

Don’t leave your friend behind
Victoria Law & China Martens

Entweder – oder? Mutterschaft zwischen fundamentalismen und vielschichtigen Praxen
Barbara Thiessen & Paula Irene Villa

Familie im Kommunismus
Filicita Reuschling

Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit
von Kitchen Politics (Hg.)

Wir sind das andere Drittel, Welche Rolle spielt die DDR und deren Frauenbild noch heute? Eine Diskussionsrunde. von Katrin Gottschalk, MISSY MAGAZINE